Der Denker
Auguste Rodin war Schüler und später Assistent des Bildhauers Carrier-Belleuse, mit dem er von 1864 bis 1872 mehrere Fassaden dekorierte und ab 1879 an der Manufacture de Sèvres arbeitete. Besonders geprägt wurde der junge Künstler durch eine Reise nach Italien im Jahr 1876: Die Entdeckung der Statuen von Michelangelo, deren wilde, verschlungene Formen eine lebendige Kraft ausstrahlen, war ihm eine Offenbarung. Rodin entfernte sich vom Naturalismus und machte sich fortan zur Aufgabe, die Realität anhand des Ausdrucks von Körper und Bewegung zu vermitteln. Dabei bewies er ein hervorragendes Gespür für Dramatik und Emotion; sein Werk als künstlerische Suche nach der „inneren Wahrheit“ zeugt von tiefer Menschlichkeit.
„Der Denker“ war ursprünglich als Bestandteil des „Höllentors“ konzipiert, eines Bronzereliefs für das Kunsthandwerksmuseum in Paris, an dem Rodin ab 1880 arbeitete. Das ehrgeizige Projekt blieb unvollendet; während seiner zwanzigjährigen Schaffenszeit löste Rodin jedoch einige Elemente vom Hauptwerk ab, um sie getrennt weiter zu bearbeiten. Im Bildprogramm des Tors, das von der dantischen Hölle inspiriert war, symbolisiert der Denker als zentrale Figur des Tympanons den Dichter selbst. Davon abgesehen hat er auch eine universelle Dimension: Von allen äußeren Erkennungsmerkmalen befreit – mit nacktem, athletischem Körper und einer Haltung, die den Melancholie-Darstellungen entlehnt ist – ist er ein Abbild des Künstlers, der über sein eigenes Werk nachsinnt, und wird so zur Verkörperung der schöpferischen Kraft.
Die Skulptur wurde um 1902/03 mehrfach vergrößert, aus ihrem ursprünglichen Kontext genommen und in Gips und Bronze angefertigt. Sie ist heute Rodins berühmtestes Werk.