Männliche Büste mit aufgestüzten Armen

vor 1467
Nicolas Gerhaert de Leyde
Strasbourg
Saal 25
Le Christ et saint Jean, vers 1430, Photo : Musées de la Ville de Strasbourg

 

 

In der Stadt

Die Niklaus von Leyden zugeschriebene Büste eines Mannes mit aufgestütztem Arm ist ein Meisterwerk gotischer Skulptur. Die Büste zeigt einen in seine Gedanken versunkenen Mann. Der eine Arm ist aufgestützt, der Kopf seitwärts geneigt. So entsteht eine spiralenförmige Bewegung, die den Rückzug nach innen, die vollständige Versenkung in einer persönlichen Meditation andeutet. Manche Autoren haben in dieser Büste ein Selbstporträt Niklaus von Leydens gesehen, ein saturnisches Bild des melancholischen Künstlers. Selten zuvor ist die Wirklichkeit so genau und einfühlsam beobachtet worden; hierbei müssen vor allem die detailgetreue Wiedergabe der Hautfalten und die natürliche Haltung des Mannes hervorgehoben werden. Über die präzise Nachahmung der äußeren Erscheinung hinaus macht der Künstler das Innenleben seines Modells sichtbar. Der von Niklaus von Leyden entwickelte Typus der Büste mit aufgestütztem Arm fand im Süden des Reiches großen Anklang. Dabei handelt es sich stets um eine nahezu rundplastisch gestaltete Halbfigur, die als Schmuck für ein Bauelement bestimmt ist. Niklaus von Leydens Nachfolger beschränken sich jedoch auf die naturalistische Wiedergabe der individuellen Physiognomien; was die psychologische Analyse betrifft, bleibt sein Scharfblick unerreicht. Als Beweis für seine Meisterschaft auf diesem Gebiet mögen die beiden Büsten dienen, die in diesem Raum an der linken Wand gezeigt werden. Nikolaus Hagenauer schuf sie für den Hochaltar des Straßburger Münsters. Die psychologische Durchdringung der Gestalten wird hier durch eine spontaner wirkende Mimik ersetzt. 

Nicolas Gerhaert de Leyde, Buste d’homme accoudé, avant 1467, Photo : Musées de la Ville de Strasbourg
Nicolas Gerhaert de Leyde, Buste d’homme accoudé, avant 1467, Photo : Musées de la Ville de Strasbourg